


Auf der Suche nach unserem Lebensabenteuer haben wir uns auf eine Reise begeben, deren Ende wir nicht überschauen können. Über unseren bewusst herbei geführten Abbruch der gesicherten Existenz in Berlin wollten wir vor allem unsere Familie an unseren Erfahrungen und Erlebnissen teilhaben lassen.
Nach ca. 40 Stunden Dauerwachseins (im Flugzeug nur kurze Schläfchen, in D spät zu Bett) und einer ca. 6stündigen Nacht sitze ich hier in der Küche meiner Eltern und warte, dass das Alltagsleben beginnt, um mir Ablenkung zu verschaffen.
Auf dem Flug von Perth nach Dubai saß ich neben einer australischen Meteorologin, die auf dem Weg nach Garmisch war, um dort 4 Wochen an einer Konferenz teilzunehmen. An Schlafen war nicht zu denken, obwohl wir beide müde waren, aber viel zu erzählen hatten. Der gemeinsame Kaffee auf dem Flughafen endete darin, dass wir unsere Adressen austauschten und ein möglicher neuer Kontakt in Perth damit angebahnt wurde. Mein Gehirn hat auf Turbo geschaltet und ich bin beeindruckt, was es in solchen Extrembelastungen zu leisten vermag. Wahrnehmung aller und Verarbeitung der Emotionen, englisch sprechen und verstehen und die Geräuschkulisse im Flugzeug ausblenden. Ich halte das für eine Meinerleistung, deren viel ausführlicher Beschreibung in ihrer Komplexität hier den Rahmen sprengen würde. Der Leser soll ja auch ein bisschen Fantasie entwickeln.
Fasten Seatbelt - bitte Anschallen, wir befinden aus auf dem Landeanflug Hamburg und danken Ihnen, dass Sie mit Emirates geflogen sind. Wir hoffen, dass Sie diesen Flug genossen haben und weiter mit uns reisen werden. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.
Der nur halb volle Flieger hat mit einer Affengeschwindigkeit die 6 Stunden Flugzeit von Dubai nach Hamburg absolviert. Routine setzt ein, Koffer aus der Ablage holen. Allen Krempel, den ich Dubai ausgepackt und nicht einmal angefasst habe, wieder einpacken und aufpassen, dass ich nichts vergesse. Und raus aus dem Flieger. Willkommen daheim. Alles spricht deutsch. Die Polizei sitzt am rechten Fleck und fragt Jeden, der aussieht, also ob er hier nicht hingehört, was er in Deutschland will. Und das in einem abgehackten Englisch, aber mit einer ziemlich verbogenen Körperhaltung. Sie spricht Bände, der Polizeibeamte fühlt sich der englischen Sprache nicht mächtig und weiß, dass der Einreisende am Nachbarschalter alles mithören kann. Ich muss schmunzeln.
Um 13.30 durchschritt ich das Tor in den goldenen Westen und hielt Ausschau nach meinen und Thomas Eltern, die mich abholen wollten. Die stickige Hitze, das enge Auto (5 Personen), die „Fachsimpelei“ zwischen unseren Vätern über den nun zurückführenden Weg von Hamburg nach Güstrow, die irreale Kommunikation mit dem Navigerät, das auch einiges zur Diskussion beizutragen hatte und der noch unbequemere Sitz als im Flieger in der Mitte auf der Rücksitzbank füllten die letzten 3 Stunden meiner 16.000 km, 17 Stunden Flugzeit, 3 Stunden Zwischenaufenthalt in Dubai und 6 Stunden Zeitverschiebung langen Reise. Und jetzt? Natürlich habe ich mich gefreut, so herzlich und liebevoll empfangen zu werden. Natürlich schätze ich, was unsere Eltern sich bei diesen derzeitigen klimatischen Bedingungen auf sich genommen, um mich abzuholen und mich mit einigen kulinarischen Lebensmitteln versorgten. Zugleich jedoch spielte ein ganz anderer Film in meinem Kopf ab.
Jetzt beginnt für mich die Zeit des Vagabundierens. Was ich damit meine? Aus dem Koffer leben, in eine leere Wohnung zurückkehren, ab September in der Woche bei meiner Nachbarin im Arbeitszimmer schlafen und an den Wochenenden nach Güstrow fahren und meinen Gedanken reifen zu lassen, eher als geplant zu Thomas zurückzukehren.
Diese fünf Worte auszusprechen gelang mir ob meiner Emotionen nicht. Der Kloß im Hals ließ nur die üblichen Worte wie „ja, nein“ raus. Jetzt sitze ich hier oben im Flughafen und warte darauf, dass die Boardingtime beginnt und überlege, ob ich nicht einfach zurückgehe. Der Letzte Blick, die letzte Umarmung und die Worte, die wir bisher nicht aussprechen konnten, kennzeichneten den Abschied an der Grenze, die nur Fluggäste übertreten dürfen. Von da an musste ich Thomas stehen lassen.
Ich habe schon sehr geweint, als wir vor ca. 4 Wochen von unseren Familien Abschied nahmen; dies hier jedoch überstieg diese Emotionen bei Weitem. Ich habe einen neuen Platz gefunden und der ist erstmal in Australien und an der Seite von Thomas. Nun gebe ich das für die nächste Zeit auf und lasse Thomas hier vollkommen allein. Die Intensität dieser Gefühle ist gleichzusetzen mit einem Verlust engster Angehörigen. So stelle ich es mir, wenn man seinen oder seine Liebste oder das eigene Kind verliert, vor. Es ist, als ob das Herz durchtrennt wird.
Ja, natürlich, gibt es auf der Welt viel Schlimmeres. Ja, natürlich wäre es noch dramatischer, wenn Thomas irgendwo kämpfen gehen müsste mit der Option des ungewissen Ausgangs, ob wir uns wieder sehen. Ja, natürlich werden Mütter sagen, dass kann man doch nicht mit einem Verlust seines eigenes Kindes vergleichen usw.
Wenn ich mein Erleben rational in Relation zu anderen Ereignissen und damit verbundenen Emotionen stelle, hat das von uns Erlebte keine Berechtigung so dramatisiert zu werden. Der Trost anderer an mich ist gespickt mit diesen Beispielen, um mir unsere Situation zu vereinfachen. Sie hilft aber nicht und ich erhebe den Anspruch, diese unterschiedlichen Lebensereignisse miteinander gleichzusetzen, da nur dies meinem Empfinden nahe kommt und in etwa ausdrückt, was das für mich/uns bedeutet. Ich verzichte auf die weitere Darstellung meiner tiefsten inneren Gedanken, die nur mich etwas angehen und der Öffentlichkeit nicht zustehen.
Ich sitze immer noch hier und warte. Mehr zu schreiben bin ich nicht in der Lage, zu denken sehr wohl. Mein Gehirn und mein Herz arbeiten auf Hochtouren und die Tränen gleichen diesen Druck aus.
Nach einer unruhigen, stürmischen Nacht (meine das Wetter draußen) sind wir heute morgen relativ hektisch und unkonzentriert aus dem Haus. Ich habe Thomas zur Arbeit gebracht, wollte anschließend aus dem Hotel auschecken und in die Wohnung, um auf den Techniker zu warten.
Zu einfach gedacht für den letzten Tag hier. Denn nachdem ich Thomas bei der Arbeit abgesetzt habe, habe ich noch schnell einen Unfall gebaut. Ich wollte nichts auslassen, bevor ich in die Heimat zurückkomme. Tja, das Auto ist schon ganz schön kaputt. Ich stehe seit dieser Zeit ausschließlich auf den Beinen und nachdem der Schock vorbei ist, hatte ich noch mehr zu tun als geplant war. So habe ich meine Englischkenntnisse erweitern können (Versicherung, Polizei etc.).
Heute Morgen haben wir einen Regenbogen gesehen. Ich dachte, dass der uns Glück bringt. Fragte mich dann auch gleich, welches. Denn morgen wieder abzureisen ist nicht wirklich Glück. Glück hatte ich wohl, dass nur das Auto kaputt ist und Thomas einen Tag frei hatte.
Unser Häuschen ist echt schön. Wenn unsere Möbel erst mal hier sind, wird es sicher sehr gemütlich. Alles ist in Ordnung. Der Vermieter hatte noch ein Schreiben in die Küche gelegt. Hat uns ein paar Infos zu Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten und Ausflugsideen aufgeschrieben. Das machte unseren gestrigen Eindruck, nun inhaftiert zu sein, wieder wett.
Weitere Nachrichten folgen.
Die Häuser werden über Realestate veröffentlicht. Hier veröffentlichen alle Immobilienbüros ihre Angebote online. In der Western Australia erscheinen zweimal wöchentlich (mittwochs und samstags) alle Anzeigen auch gedruckt. Man wird von der Masse beinahe erschlagen. Zum Wohnen findet man hier eine ganze Menge.
Miete wird hier wöchentlich bezahlt und wenn man das Haus nimmt, muss man eine Kaution bezahlen. Strom, Gas, etc. kommen selbstverständlich on top. Bei Interesse füllt man hier einen Antrag aus (mehrseitig) und gibt diesen dann wieder beim Maklerbüro ab. Der Makler legt dem Vermieter den Antrag vor. Je nachdem ist man dann im Haus oder bleibt draußen stehen.
Sport wird hier ganz groß geschrieben. Alle möglichen Leute (groß, klein, schlank, dick etc.) bewegen sich. Sie laufen, joggen, fahren mit dem Kanu oder Fahrrad. Heute morgen habe ich mich das erste Mal auf die Laufpiste entlang der Küste begeben und wurde von einem herrlichen Sonnenschein begleitet. Ich bin um 8.30 am gelaufen und habe mich ganz schnell meiner vielen Bekleidung „entsorgt“. Mir sind viele Mütter im Sportdress mit ihren Kinderwagen begegnet, einige Radfahrer haben mich überholt. Andere Jogger sind gelaufen, als wäre ein bissiger Hund hinter ihnen her. Wo nehmen die die Energie her? Vielleicht werde ich am Ende der kommenden drei Wochen ebenso fit auf den Beinen sein. Ich genieße den Ausblick und denke schon an meine bevorstehende Superlaufkarriere.
Beim Laufen werde ich stets daran erinnert, dass ich auf der linken Seite des Bürgersteigs laufen muss. Weiße Linien kennzeichnen die Laufrichtung. Ab und an steht dann auch: „left“. Ja und so bewegen wir uns alle brav auf der richtigen Seite. Sogar die Läufer halten sich daran. Dauernd denke ich daran, was ich tun muss, wenn ich überholt werde. Weiche ich dann nach rechts oder links aus. Was mache ich, wenn ich überhole. Ja das kann einen schon mal beschäftigen. Ich lache in mich hinein. Du meine Güte was ich wohl noch alles lernen muss?
In Australien herrscht Helmpflicht für Fahrradfahrer, was mir sehr sympathisch ist. So muss ich nicht auch noch Sorge dafür tragen, dass niemand mit seinem Rad stürzt und sich seinen Kopf verletzt, wenn ich in die falsche Richtung ausweiche.
Die Zeitungen sind täglich mit vielen neuen Sportnews bestückt. Zum Glück kenne ich davon bereits zwei Sportarten: Fußball (Soccer) und Tennis. Die anderen Beiträge über Cricket und Football verstehe ich und lese ich auch nicht. Hab ja keine Ahnung, nach welchen Regeln diese Spiele funktionieren.
Das Schönste derzeit, da gerade die Fußball-WM in Deutschland ist, per Zeitung und Fernsehen auch immer mal wieder etwas von der Heimat zu hören bzw. zu sehen. Ich hätte gar nicht gedacht, dass die Medien weiter berichten, nachdem ihr Fußballteam ausgeschieden ist. So können wir jeden Abend ein Spezial zum Thema Worldcup sehen und erhalten ein paar Infos zu den wichtigsten Städten Deutschlands. Und, wer hätte es gedacht, wir lernen Neues. Nämlich, wie man einen Baumkuchen oder eine Schwarzwälder Kirschtorte herstellt. Das wusste ich auch noch nicht. Muss man also erst nach Australien reisen, um solche elementaren kulinarischen Infos aus dem Fernsehen über Deutschland zu erhalten. Ich glaube, der Verkauf von Torten hier im Aussieland wäre der Kracher. Werde darüber nachdenken.