Thursday, February 28

Traditionen

Klientin, 19 Jahre alt, aus Indonesien, ihre Mutter lebt dort, ihr Vater hier mit ihr, sie ist das einzige Kind. Vor einem Jahr hat sie ihre beste Freundin und einzige Vertraute verloren. Sie ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, nachdem diese eine Woche in Amerika angekommen war. Die Klientin verkraftet den Schmerz nicht. Sie will sich das Leben nehmen und hat dafür denn 22. eines Monats ausgesucht. Dieser Tag soll es sein. Und sie weiß genau wie - Tablettenüberdosis, oder vom Hochhaus springen. Sexuell mißbraucht, als sie 11 Jahre war bis sie nach Australien gekommen ist. Da war sie 18! Kann man ihr verübeln, gehen zu wollen?
Ihre Mutter verlangte, dass sie nicht weinen sollte, als ihre Freundin gestorben ist. Denn in asiatischer Kultur glaubt man daran, dass 3 Tage Trauer reichen. Wenn man das länger betreibt, hält es den Geist des Verstorbenen fest und lässt ihn nicht gehen. Doch laut diesem Glaubens muss man aufhören, zu trauern, um den Geist frei zu geben und ihn gehen lassen, damit er sich einen neuen Weg suchen kann.

Friday, February 22

Touch wood

Wochenende - Es ist Freitag Abend, bereits dunkel hier in Perth, der Wind nimmt sich zur Nacht immer mehr auf und sorgt dafür, dass wir beim Schlaf vom Rütteln der Türen gestört werden. 15 Grad am morgen, die es noch bis ca. 30 Grad am Tag schaffen. Wohl nicht mehr lange und wir können die Kerzen anzünden.

Eine Woche Arbeitsalltag weg gesteckt, als ob es nichts wäre und doch so müde am Ende dieser Tage, so kurz vor dem Wochenende. Gerade haben wir mit der Heimat geskypt und fest gestellt, dass wir vor einer Woche noch Thomas' Bruder und Familie bei uns hatten. Es kommt mir vor, als ob das schon viel länger her ist.

Mein Terminkalender an der Uni füllt sich und sorgt dafür, dass mir keine Langeweile aufkommt. Interessante Fälle tun sich auf und fordern mich, in Welten einzutauchen, von denen ich vorher noch nie etwas gehört habe.

Klientin, aus Afghanistan stammend, 36 Jahre alt, an der Uni studierend, heiratete im letzten Jahr. Noch nie im ihrem Leben zuvor sexuellen Kontakt gehabt, wird sie förmlich in die Welt der Sexualität zwischen zwei Liebenden gestoßen. Sie hat keine Vorstellung wie das ist, hört nur von anderen, dass es beim ersten Mal weh tut. Sie steigert sich hinein und hat in 10 Monaten Ehe 10x mit ihrem Mann geschlafen. Es tut weh, wenn sie es tut. Und es ist mittlerweile klar, dass die Psyche ihr einen Streich spielt, dessen Ausgang nicht absehbar ist. Sie hat einen Vaginismus. Du meine Güte, ich lerne nie aus. Interessant, wie sie gestern beschrieb, was sie denkt. Ihr Mann hat ihr Leben gestört, ihre Unizeit zur Unendichkeit forciert. Sie bedauert geheiratet zu haben und nimmt nun an, bei weiterer Interpretation des Schmerzes, den sie tatsächlich hat, ihn bestrafen zu wollen. Sich selbst auch, aber so weit ist sie noch nicht. Und eine nicht gerade Unbekannte spielt eine Rolle dabei. Die Kontrolle ... Nachdem ich also den physischen Prozess erklären musste, natürlich erst nach vielen Gesprächen mit Kollegen etc., beginnt die eigentliche Knochenarbeit. Aufbrechen, was sich weigert, loszulassen oder zu akzeptieren, dass ihr Weg ein anderer ist.

Vor vielen Jahren drogensüchtig, den Absprung geschafft, treffe ich auf eine junge Klientin, deren Mutter schizophren ist. Nach zuspitzendem Verhalten der Mutter, irrationalem Verhalten und Äußern der verwirrten Gedanken bis hin zum täglich nächtlichen Möbelrücken, weist die Tochter (meine Klientin) in die Geschlossene ein. Nun ist sie zum einen voller schlechtem Gewissen, steht unter Druck, weil die ganze Familie incl. Stiefvater sie mit Fragen und Anforderungen belasten und macht sich Sorgen, selbst so etwas mal zu bekommen. Wie kann sie damit umgehen?

Eine 38 jährige Psychologistudentin, Mutter eines einjährigen Mädchens, lebend mit ihrem Partner und als Graphikdesignerin arbeitend, ist willens, das zu ändern. Wo sind die Lücken? Aus einfachen banalen Oberflächkeiten, die schnell lösbar sind, tut sich plötzlich eine Vergangenheit und Gegenwart auf, die Ursache ihres Befindens ist. Es geht nicht um Zeitmanagement, es geht um Anerkennung, Grenzsetzung, Wettkampf und Konkurrenz in der Familie. Das hat nichts mehr mit einfachen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zu tun.

Eine Klientin, von der ich bereits berichtet habe, kam wieder und ist voller Hoffnung, dass nun mit ihrem Partner alles anders wird. Sie hat sich wieder an der Uni eingeschrieben und weiß noch gar nicht, was da alles auf sie zukommt. Ich unterstützte sie darin, den Moment zu genießen und erarbeite mit ihr, wie sie für sich selbst sorgen kann.

Eine Unimitarbeiterin, die mit ihrer neuen Chefin immer mehr ins Straucheln gerät, reflektiert, dass sie Auseinandersetzungen vermeidet und fühlt sich zunehmend belasted. Sie ist fleißig in der Therapie und so voller Willen, ihre Ressourcen zu entdecken.

Die Managerin, die zur Vormediation bei mir war, hat ihre Teilnahme an der Mediation abgesagt. Sie will keine Schwäche zeigen und sieht es sowieso nicht als eine ihrer Aufgaben an, mitarbeiterorientiert zu leiten. Schade.

Die Konfliktbeauftragte der Uni, eine Rechtsanwältin, holt mich ins Boot, um diese vielen Manager und Professoren zu schulen, wie man mit Konflikten umgeht. Auf einmal tut sich ein Megaprojekt auf, worüber ich mich freue. Mein Chef gab mir eine High five (gib mir fünf auf die Hand), als er hörte, was schon auf den Weg gebracht wurde. Ich habe grünes Licht, Zeit zu investieren. Juhu, so habe ich auch durchgesetzt, monatliche Konfliktberatungen für diese Manager durchzuführen. Ein Ausgleich dafür, dass ich meine Kurse in Berlin für dieses Jahr absagen musste.

Wednesday, February 20

Kontakt

Nach einem entspannten Wochenende im Süden von Perth in der Magaret River Region sind wir am Montag wieder im warmen Perth eingetroffen. Es war eine gute Ablenkung nach wieder einmal einem traurigen Abschied von Thomas' Bruder und seiner Familie. Wir werden es nie lernen. ich werde es nicht lernen, einen Abschied ohne Tränen und Schmerz durchzustehen.

Das klassische Konzert auf dem Weingut Leeuwin war etwas enttäuschend. Denn es sangen zwei Opernstars den ganzen Abend, es drifte ab zu einer Entertainmentshow gemacht für die Älteren unter uns. Wir haben über uns gehen lassen, den Sternenhimmel beobachtet, guten Wein getrunken und beobachtet. Dieses Event wird nur einmal im Jahr dort gemacht. Es hat eine ganz besondere Atmosphäre und ähnelt der Berliner Waldbühne sehr. Nur etwas kleiner. das nächste Mal werden wir mehr darauf schauen, was Inhalt des Abends ist. Es ist eben nicht immer drin, was drauf steht.

So hat uns die Abwechslung gut getan und mittlerweile sind wir wieder mitten im Alltag. Mit einigen Überraschungen. Montag lag die Urkunde vom Board of Psychologists im Briefkasten, um mir nun zu bestätigen, dass ich meinen Spezialtitel als clinical psychologist tragen darf. Welch Freude durchströmte meinen Körper. Wieder eine so wichtige Hürde genommen. Auf Arbeit geht es sich gut, viele interessante Konfliktprojekte an der Uni stehen an, an denen ich mitarbeiten kann. Auch das freut mich und sorgt für Abwechslung im täglichen therapeutischen Alltag.

Heute durfte ich einer Buchlesung einer Aborigine beiwohnen, die ihre Lebensgeschichte veröffentlicht hat. Eine Geschichte, ihre eigene, über die Erfahrung als eine von vielen zu der stolen generation zugehörend. Sie signierte mir das Buch mit herzlichen Worten und drückte mich danach. Endlich komme ich dem näher, wonach ich schon lange Ausschau gehalten habe. Ermutigt bin ich dann zur Professorin und Leiterin der Aborigines Studies der Uni gegangen und habe um ein Gespräch gebeten. Natürlich nicht heute, aber die kommenden Tage. Sie gab mir ein Handbuch für Psychologen, die mit Aborgines zusammen arbeiten. Einfach so. Geschenkt. Ich sehe unserem Treffen entgegen und will mich vorbereiten, so viele Fragen habe ich. Vor allem Fragen zu deren Konfliktkultur. Spannend.


Tuesday, February 12

The big day

Zum ersten mal in der Geschichte Australiens entschuldigt sich eine Regierung bei den Aborigines. Ich dachte, dass das lediglich ein Ritual beim Regierungswechsel ist. Das stimmt aber nicht. Um so aufgeregter sind viele Beteiligte, wie, was und in welcher Form diese Entschuldigung formuliert werden soll und wie sie morgen aufgenommen wird.

Morgen, Mittwoch, ist der Tag, an dem Kevin Rudd diese Rede haelt und sich entschuldigt fuer die stolen generation.
In einer Tageszeitung habe ich gestern gelesen, dass 40% der Westaustralier diese Entschuldigung nicht unterstuetzen. Leider war dem Artikel nicht zu entnehmen, warum.

Es existieren viele Reaktionen entlang dieser Entschuldigung (uebersetzt von GetUp, Action for Australia) Beispielsweise:
Der Australier ist nicht verantwortlich und sollte sich nicht schuldig fuehlen.
Das mit der stolen generation gehoert der Vergangenheit an (eines der staerksten Argumente gegen die oeffentliche Entschuldigung).
Die Beteiligten dieser dachten damals, dass sie das Richtige tun.
Eine Entschuldigung macht Vergangenes nicht ungeschehen.
Das wird uns ein Vermoegen kosten.

Die Entschuldigung ist eine zentrale Empfehlung des Bringing Them Home (Bringe sie nach Hause) Berichts von 1997.

Saturday, February 9

The Price of Life

Ich hatte so einen Moment, als ich das erste mal 100 Dollar für eine Tankfüllung bezahlt habe. Ich fahre eine Limousine mit einem normalen Tank. So bin ich erschrocken. Okay vielleicht würde ein durstiger V8, 4rad angetrieben soviel kosten für diejenigen aus WA, die am Wochenende mal eben nach Dunsborough oder Eagle bay fahren, um sich zu erholen. Aber ein einfaches Stadtauto, dass 100 Dollar Sprit kostet?
Ich will gar nicht erwähnen, was das alles 30 Jahre früher kostete, aber es erinnert mich dennoch an die Zeit, als ich noch ein Fahranfänger war und mir der Gedanke niemals kam, dass ich wohl eines Tages 100 Dollar für den Sprit bezahlen muss. Wahrscheinlich hat nie jemand daran gedacht, dass das passiert.
1972 hatte ich einen grünen VW (Baujahr 66), der mich 750 Dollar gekostet hat, als ich ihn (oder besser meine Mutter) erstanden habe. Zu dieser Zeit habe ich 2 Dollar an der BP bezahlt, 11 cent pro Liter. Und nebenbei gesagt, hat dann noch jemand von der Tanke den Wagen aufgefüllt.
Mit diesem Wagen bin ich zum Pub gefahren, um dort 50 cent für einen Bierkrug zu bezahlen (verglichen mit dem heutigen Preis, 15 Dollar, die ich bezahlen musste, als ich einem Testmatch zugesehen habe). Und ich habe früher 40 cent für eine Zigarettenschachtel bezahlt. Vielleicht ist es ungerecht, auch nur den heutigen Preis von Zigaretten zu erwähnen.
Genauso stellt es sich mit Immobilien dar. Ich höre noch, wie ein Kollege von mir vor 10 Jahren erzählte, das er sich ein 1 Millionen Haus gekauft hat. Ich war total beeindruckt. Normale Familien hatten kein Haus mit sieben Räumen. Das hatte man nur in Zeitungen gelesen. Solche Häsuer waren was für Schauspieler, oder Großindustrielle, oder?
Heutzutage hebt man nur lässig die Augenbraue, wenn man hört, dass ein Haus 1 Million kostet. Es ist lange nicht mehr ein Palast, es ist einfach ein Haus in guter Lage. So ist es eben. Eines der Dinge, denen wir gegenüber immun werden bzw. geworden sind.
Also was passiert hier? Wir wissen alle über Zigaretten und Bier Bescheid - es hat was mit den Steuern zu tun. Aber Benzin?
Nein, ich bin kein konspirativer Theoretiker. Ich bin auch ziemlich gut im Verstehen der Inflation, Technologien und des Mangels. Aber diese Preissteigerung beim Benzin lässt mich überlegen, es hat nicht nur was mit dem Einbahn-Verkehr zu tun da draußen. Da sind auch noch andere Dinge, die heute weniger kosten als früher.
Mein erster Farbfernseher hat viel mehr als mein jetziger gekostet. Das Gleiche gilt für meinen DVD Player. Mein erstes Handy war außerordentlich teuerer, als das was ich jetzt habe.
Der Laptop, den ich 5 Jahre zuvor benutzt habe, kostete das Doppelte von meinem aktuellen Laptop. Gleiches gilt für den iPod.
Letzte Woche habe ich mal bei einem Gebrauchtwagenhändler reingeschaut und mir fiel sofort der grüne Volkswagen (66iger Baujahr) ins Auge. Der Gleiche, den ich mal hatte. Es war offensichtlich etwas aufgepeppt entsprechend den heutigen Erfordernissen, and die Kosten, es zu betanken würden den Kaufpreis nach ein paar Monaten weit überholen. Aber es war exakt der gleiche Wagen, und mit dem Preis von 750 Dollar, der gleiche Preis wie in 1972.
Ökonomie und Logik mal beiseite nehmend, ich kann mir nicht helfen, aber irgendetwas läuft schief.

heute im Magazin der Sunday Times gelesen


Friday, February 8

Öffentliche Entschuldigung

The stolen Generation - gestohlene Generation ist immer mal wieder Thema, wenn es um Fragen der indigen Bewohner Australiens geht. Es meint eine Zeit von ca. 60 Jahren im 20. Jahrhundert, in denen die Kinder von Aborigines einfach von zuhause abgeholt wurden und bei weißen Familien unter gebracht. Ohne ein Recht auf Erziehung und Entscheidung der natürlichen Eltern, sind ganze Familien auseinander gerissen worden. Australien hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, doch war es zu dieser Zeit überzeugt, genau das Richtige zu tun.

Seit einiger Zeit hat Australien eine neue Regierung. Und es ist Tradition, zu Beginn der neuen Amtszeit eine öffentliche Entschuldigung auszusprechen. Sie tun sich schwer damit. Die Presse ist täglich voll vom aktuellen Stand des entsprechenden Entwurfes zur öffentlichen Rede. Ich bin wirklich sehr gespannt, wie diese am Ende lauten wird. Der öffentliche Erwartungsdruck ist hoch, geforderte finanzielle Mittel zur Wiedergutmachung sind abgelehnt worden.

Gestern erreichte mich eine email auf Arbeit mit einem offiziellen Schreiben der Curtin Universität, meinem Arbeitgeber. Es ist ihnen gelungen in einem einseitigen Schreiben einen Beitrag zur Entschuldigung zu leisten und sich zu verpflichten, bisherige Projekte indigene Studenten zu integrieren, weiter zu führen. Damit hat die erste Universität Australiens ein Papier geliefert, das schwarz auf weiß Verantwortungsbewusstein zeigt. Eine Kollegin von mir arbeitet in dem Gremium mit, das dieses Statement erarbeitet hat. Sie war wirklich sehr stolz.

In einem Teil meiner Gedanken regt sich der Eindruck, dass es nur die Absicht war, schneller als alle anderen Unis zu sein. Und nicht die Überzeugung der eigentlich Botschaft. Das ist selbstverständlich eine bittere und, vielleicht, auch ungerechtfertigte Meinung. Es ist schwer, kontinuierlicher im Gespräch mit Australiern darüber zu sein. Das Thema ist präsent, aufgrund der demnächst folgenden öffentlichen Entschuldigung.

Wie lange wird es dauern, bis so etwas nicht mehr einer öffentlichen Entschuldigung bedarf? Wie lange wird es dauern, bis man es nicht erzwingen muss, sondern eine im Alltag verankerte Einstellung bei allen Australiern? Wie lange wird des brauchen, bis Gespräche über das "Oh, nein wechsle lieber die Straßenseite" hinaus gehen? Wie lange wird es dauern, bis die jüngeren Generationen kein schlechtes Gewissen mehr haben müssen, denn sie haben nichts zu entschuldigen. Oder doch?

Heute Abend wird das Perth Festival eröffnet. Die hier ansässigen Aborigines rufen auf zu Gemeinsamkeit und friedlichem Miteinander. Sie werden in der Minderheit vor der Mehrheit stehen, und sie hoffen immer noch auf ein Gutes. Im letzten Jahr waren wir dabei und mussten mit erleben, wie einige im Publikum lachten, und weniger ernst waren. Peter und der Wolf wurde damals im Anschluss gespielt. Nichts, was mit der einheimischen Kultur zu tun hat. Heute Abend soll ein Baum (Black boy tree) angezündet werden, ganz so wie in der Tradition der Aborigines, um ihn zum blühen zu bringen. Ein Zauber wird uns erreichen, der so schnell wieder vorbei ist, wie er gekommen ist. Übrig wird eine Erinnerung eines fantastischen Abends sein, bei dem auf dem Swan River französische Künstler ihr Können zum Besten gegeben haben.

Ich lasse mich überraschen.