Friday, January 5

Real Life

Morgen ist es soweit. Wir freuen uns darauf, einen Freund aus der Heimat am Flughafen in Perth in Empfang zu nehmen. Noch nie habe ich mich so auf einen Besuch gefreut und hoffe, dass ich noch viele Male ein derart ähnliches Gefühl hier erleben darf.

Viele Freunde beschäftigen sich mit dem Gedanken, uns hier an einem der einsamsten Orte der Welt zu besuchen. Doch leider spielen die Arbeitsumstände in Deutschland und andere Gründe gegen konkrete Planungen so weit um die Welt zu reisen. Ich akzeptiere das und bin dennoch traurig darüber, dass die Arbeit einen so großen Einfluss auf private Vorhaben hat. Was muss passieren, damit sich das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit in ein Gleichgewicht bringt?

Das tägliche Lesen der Zeitung hier und die vielen Gespräche mit Menschen, die hier beruflich integriert sind, geben so einiges Interessantes über die Arbeitswelt in Western Australia preis. Das Durchschnittsgehalt eines Australien beträgt brutto ca. 36.000 Dollar !!! Rechnet das bitte selber in Euro in (durch 1,67) und dann überlegt mal, ob Ihr mit diesem Gehalt auskommen würdet. Das der Lohn hier wöchentlich ausgezahlt wird (ist die Regel) hat einen besonderen Grund. Wäre das nicht so, würden die meisten ihr Geld (bei monatlicher Auszahlung) bereits zu Beginn des Monats aufgebraucht haben. Die hohe Verschuldung treibt die Geschäftemacher an. Beispielsweise wird damit geworben, dass man sich jetzt eine Couch kaufen kann, sie aber erst 2010! bezahlen muss. Wer kann denn so kalkulieren, zumal die Couch dann nichts mehr wert ist und wahrscheinlich schon eine neue her muss. Der Bauernfang funktioniert. Die Leute "kaufen". Sie leben eben im Hier und Jetzt.

Der Arbeitsmarkt boomt weiter. Die Fachkräfte fehlen und werden weiterhin aus dem Ausland eingeschifft, damit der Markt bedient werden kann. Immer wieder frage ich mich, warum so ein Hype um meine berufliche Anerkennung gemacht wird, wenn deutlich wird, wie wenig oder wie schlecht die Leute hier ausgebildet sind. Auch ein Friseur (nichts gegen Friseure) hat ein Diplom als Abschluss. Das kann schon mal verwirren.

Junge Leute, ca. 25 Jahre, stellen sich in Firmen vor, ohne einen Abschluss, aber dafür schon in teilweise 10 unterschiedlichen Firmen gearbeitet zu haben. Zum Teil wissen sie nicht, was sie wirklich verdienen. In Lohnverhandlungen sprechen sie von Stundenlöhnen. Was das umgerechnet auf einen Monat bedeutet, bleibt dem Arbeitgeber überlassen. Um so mehr wundert es mich, dass sich die Kriminalität in Grenzen hält, wenn einige ihr Geld am Abend des Lohntages in den Pubs versaufen und am Folgetank einen Sickday (Krankentag) nehmen. Wenn Sie dann mal wirklich krank sind, haben sie diese Sickdays nicht mehr und erscheinen eben krank auf Arbeit. Dort sitzen sie ihre Zeit ab, leisten nicht wirklich was.

Gute Fachkräfte bekommen oder sie für eine längere Zeit als sechs Monate an eine Firma zu binden, ist echt schwer. Viele nutzen Westaustralien sicher als Sprungbrett, um ins Land zu kommen und dann in die Easternstates zu ziehen (z.B. Melbourne, Sydney). Es gibt eine reale Kluft zwischen den Territorien West- und Ostaustralien. Ein Vergleich zum ehemaligen Osten und Westen in Deutschland kann in etwa dieser Situation standhalten (nur umgekehrt: hier ist der Osten up to date und der Westen hinterher). Wenn man gefragt wird, ob es einem gefällt, dann darf man nur mit "Yes, very well" antworten. Kritische Gedanken sind nicht willkommen. Man wird schon mal schräg angesehen, wenn man erzählt, dass beispielsweise Berlin fehlt (aufgrund der kulturellen Möglichkeiten und Anzahl der Events).

Das man Kompromisse eingehen muss, wenn man in ein anderes Land zieht ist absolut klar. Doch auch das hat seine Grenzen. Eine komplette Verbiegung des eigenen Selbst führt nicht zu Echtheit. Auch hier müssen alle lernen, dass Kritik nicht immer etwas Schlechtes ist und das eine Seite mehre Perspektiven hat.

Es gibt also eine Menge zu tun.

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