Tuesday, August 14

Kulturelle Hintergründe

Ziemlich erschöpft von den vielen depressiven Klienten, die alle eine unterschiedliche Story mitbringen, endend in dem gleichen Resultat, muss ich doch schnell etwas festhalten.

Eine Klientin, 47 Jahre alt, studiert Sozialarbeit, kommt aus Japan und muss nach Abschluss wieder zurück. Eigentlich wil sie das nicht, denn in Japan ist dieser Beruf anders ausgelegt. Ende diesen Jahres wird sie ihren Abschluss haben und hat noch ein halbes Jahr Zeit, sich zu überlegen, wie sie bleiben kann.

Da sitzt eine vollkommen hoffnungslose Person vor mir, die beschreibt, dass sie nicht in der Lage ist, ihre Emotionen zu benennen. Ich kenne das und es hat nicht unbedingt etwas mit der Herkunft zu tun. Doch sie beschreibt so tiefgreifend die japanische Kultur, die es nicht erlaubt, Emotionen zu zeigen, dass ich fasziniert und erschüttert zugleich bin. In ihrem ganzen Leben hat sie weder über sich selbst, schon gar nicht über Emotionen nachgedacht. Es gehört nicht in ihre Welt. Arbeiten, arbeiten, besser werden, das Gesicht wahren, niemanden schaden - das sind einige ihrer kulturellen Werte.
Und plötzlich hatte sie Semesterferien, in denen sie nicht wirklich etwas zu tun hatte, außer über sich nachzudenken.
Eine in der Koerperhaltung in sich ruhende Frau betritt mein Buero. Ihr Blick sucht nach etwas, worin er ankern kann. Mir direkt in die Augen zu schauen gelingt manchmal, nicht immer. Sie laechelt und interpretiere es als verlegenes Laecheln. Sie nimmt Platz und sagt, sie weiss gar nicht, wo sie anfangen soll. Holt tief los, Fluessigkeit beginnt sich in den Augen zu sammeln. Auf dem Schwingsessel rutscht sie in und her. Sie sucht noch ihren Platz. Ich beobachte sie, laechele zurueck und gebe ihr zu verstehen, dass sie sich Zeit nehmen kann. Sie nickt. So geht es eine Weile, bis ich sie ueber dieses und jenes befrage. Das geht gut. Sie fuehlt sich wohl. Sie muss ihre Antworten nicht ueberlegen. Doch dann ist sie gefordert, ihre Situation genauer zu beschreiben und zu benennen. Da rutscht sie wieder hin und her. Sie benennt ihr Unwohlsein und erzaehlt ueber ihren kulturellen Hintergrund. Ihre Haare werden grau, sie ist schlank, ihre Haut ist glatt, zeigt wenig Spuren vom Alter. Wie hat sie das geschafft, denke ich. Sie erzaehlt immer noch und wir beide tauchen auf unsere Art und Weise in das Gespraech ein. Sie beginnt zu weinen, verhalten, ihr Koerper schuettelt sich nicht, aber die Traenen sind nun nicht mehr aufzuhalten. Sie benutzt meine Tissues nicht, sondern hat ihr eigenens Taschentuch dabei. Sie tupft ihre Traenen ganz langsam ab. Es hat den Anschein, als ob sie ueberlegt, waehrend sie ihre Sicht wieder herstellt.
Ich beginne, meinen Job zu moegen.

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