Friday, November 9

Wenn alle kommen

Klient, 45 Jahre alt, Australier, Vater. Von einem 11jährigen Sohn, geschieden, mit einer neuen Partnerin lebend, ist ein Quäker (weltweite Organisation, die sich für Menschenrechte etc. einsetzt), kommt zum zweiten Mal, ist durcheinander, und fühlt sich in einer Falle. Sein Sohn hat mit ihm und seiner neuen Partnerin zusammen gelebt, nachdem es bei der Mutter nicht mehr ging. Mit der neuen Partnerin und dem Sohn geht es aber auch nicht. Sie hat ihn physisch verletzt, so sagt zumindest der Sohn, und ging zur Mutter zurück. Die Mutter fährt alle Geschütze auf und hat dem Gericht bereits ihren Report abgegeben. Die Child Protection klopft an der Tür, jetzt wird es schwierig, einen guten Weg zu finden. Die Beziehung zwischen Sohn und Vater ist belastet. Der Sohn wirft dem Vater vor, ihn im Stich gelassen und dieser Bitch (Hexe) überlassen zu haben. Der Vater weiß gar nicht wie er sich verhalten soll und hat jetzt erstmalig Symptome eines Asthma entwickelt. Die Luft zum Atmen ist begrenzt, der Husten kommt unangemeldet. Was will er, der Vater, und wie. Wie kann er zu sich selbst finden und wie diese Situation lösen. Ausziehen und seine Partnerin verlassen, mit dem Sohn eine neue Unterkunft suchen, das ist nicht bezahlbar. Ihn nur sehen, wenn der Sohn ihn eben braucht und mal anruft, ist auch nicht die beste Lösung. So viele Fragen. Mediation ist organisiert, viele unterschiedliche Service sind in Gang gebracht.

Sie hat Angst vor ihren Prüfungen, schon vier Wochen, nachdem die Termine raus sind, beginnt diese Angst, die sich in Albträumen und Panickattacken niederschlägt. Sie beginnt ihr Lernen aufzuschieben, immer weiter nach hinten und ist besorgt darüber. Was ist das nur, wo kommt diese Angst her und vor allem wie kann sie damit umgehen. Fragt sie, 21 Jahre alt, die mit ihrem Vater nur wenig kommuniziert, schon gar nicht über emotionale Dinge spricht. Wenn er um sie ist, spürt sie ihre Anspannung und ihr Herz schneller schlagen. Ihre Mutter bildet eine Brücke und ist Kanal der Kommunikation zwischen dieser jungen Studentin und ihrem Vater. Ihre Geschwister sind fein raus und im Beruf. Sie haben das alles schon hinter sich. Eigentlich wollte sie Kunst studieren, nun arbeitet sie täglich mit Zahlen im Studium, um im Finanzbereich arbeiten zu können. Sie träumt viel und hatte mal einen Unfall, als sie fünf Jahre alt war. Sie erinnert sich bruchstückhaft, vor allem daran, dass ihr Vater damals am Bett im Krankenhaus stand. Und sie da hat ihn das einzige Mal singen hören.

Eine Kunststudentin kommt ebenfalls zum zweiten Mal, sie steht kurz vor ihrem Auszug aus dem Elternahus, ist die älteste von vier Kindern im Haus. Sie will raus. Sie schwiegt viel, und kann kaum in Worte fassen, was sie wirklich fühlt. Es überanstrengt sie nicht, das Studium. Sie kann alles und doch kann sie sich nicht mehr motivieren. Ihre Energie ist verbraucht. Ihre Verzweiflung klebt die Stimmbänder zusammen. Vor mir sitzt eine überaus gebildete und interessante junge Studentin, die sich nichts sehnlicher wünscht, als Kunst zu studieren. Sie glückliche. Wie viele sehe ich, die das nicht dürfen, weil die Eltern gegensätzliche Vorstellungen haben. Sie ist hoch angespannt, ihre Worte kommen stockend, sie bewegt sich steif. Da ist etwas, worüber sie nicht sprechen kann. Ein auferlegtes Tabu, dass sie davor schützt, der Wahrheit zu begegnen. Im letzten Jahr war alles ganz anders, abrupt hat sich hier Leben und haben sich ihre Emotionen geändert. Sie schwimmt, und ich mit ihr.

Dreimal haben wir uns diese Woche gesehen. Am Dienstag noch wollte er sich das Leben nehmen, am Donnerstag hatte er es noch nicht geschafft, sich vor seinen Eltern zu outen. Er ist Moslem, streng gläubig, in der Mitte von 5 Geschwistern geboren. Nie ist er aufgefallen. Er mag es, wenn er anderen Leuten etwas Gutes tun kann. Vor allem seinen Eltern. Er studiert Chemie und ist im letzten Semester. Er mag nicht mehr, ist enttäuscht von seiner Wahl. Alle sind stolz in der Familie, dass er in ein paar Wochen sein Zeugnis in der Hand hält und seine Karriere beginnt. Er beginnt zu lügen, nicht mehr zur Uni zu gehen, nur noch zu feiern und fühlt sich schlecht. Wie soll er das nur seinen Eltern sagen. Er hat sie nie enttäuscht. Heute morgen hat er es geschafft und ist unendlich erleichtert. Nächste Woche kommt er wieder. Seine Zukunft planen.

Zu allerletzt kommt sie. unvermittelt. Ich habe sie heute morgen in meinem Terminkalender gesehen, ich dachte, dass sie nie wieder kommt. Ich habe wohl schon über sie berichtet. Das erste was sie tat, als sie in meinem Büro war. Mich zu umarmen und ganz fest an sich zu drücken. Ich war erschrocken, doch dann begann sie zu weinen. Trost und Halt fehlen ihr. Ich gebe es ihr gerne. Sie strahlt, als ich ihr sage, dass ich im Februar wieder komme. Sie ist wirklich in einer Zwickmühle. Leid tut sie mir nicht, aber ich habe dennoch Mitgefühl.

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